Aufbruch in die Berge

1. August

Der erste Morgen, völlig auf uns allein gestellt.
Wir schlafen aus und stehen erst gegen 11:00 Uhr auf.


Morgen an den Zelten in Gorno-Altaisk

In aller Ruhe kochen wir Kaffee und "Kascha", die berühmte russische Morgen-Breipampe. Ob Gries, Haferflocken oder Pudding, der Löffel muß drin stehen. Man wird davon recht schnell satt, allerdings hält dies immer nur bis kurz nach dem Aufbruch. Der Kenner der Szene hat daraufhin irgendwo Brot und eine Wurstbüchse versteckt bei sich - in unserem Fall mußten wir uns allerdings mit "Riegeln" behelfen.
Frühstück

Wir hatten inzwischen auch einiges an Gepäck aussortiert, welches wir hofften, im hiesigen Bergwacht-Büro lassen und auf dem Rückweg wieder abholen zu können. Die zweite Jeanshose mußte ebenso dran glauben wie eingelegtes Gemüse im Konservenglas.
Jetzt hieß es warten. An den Felsen hinter der Zeltwiese beobachteten wir Kletterer, wandten uns aber schleunigst ab, als wir deren Sicherungstechnik erkannten ...
Stattdessen stiegen wir über einen Pfad auf die darüberliegende Kuppe und hatten von dort einen guten Ausblick auf die Regionshauptstadt Gorno-Altaisk.

Gorno-Altaisk, zu Füßen der Berge des Zentralaltai gelegen, ist die Hauptstadt der Autonomen Region Altai; 1994 hatte sie etwa 46700 Einwohner. Bis 1932 war ihr Name Ulala, von 1932-1948 Oyrot Tura.
Die Stadt als Zentrum der Region besitzt holzverarbeitende und Bekleidungsindustrie. Hier befinden sich auch ein historisches Institut sowie Institute für Lehrerbildung und Veterinärmedizin.
Gorno-Altaisk liegt am Fluß Mayma nicht weit von dessen Mündung in den Katun. Der Katun wiederum, der an den Hängen der Belucha seinen Ursprung hat und mit Hilfe seiner Zuflüsse Koksa, Argut, Tschuja und Ursil in Höhe von Gorno-Altaisk bereits ein mächtiger und reißender Strom ist, wird später am Zusammenfluß mit der Bija zum Ob, einem der längsten Flüsse der Welt und Hauptwasserweg Westsibiriens.

Blick auf Gorno-Altaisk

Stephen, Tobias und Christian waren in die Stadt gegangen, um Benzin zu beschaffen und Geld zu tauschen. Wir hatten lange diskutiert und gerechnet, aber wenn wir unsere Geldreserven zusammenkratzen würden, könnte es für den Charterflug bis ins Belucha-Basislager reichen. Damit würden wir eine mehrtägige Busfahrt und danach einen mehrtägigen Fußmarsch vermeiden und in zwei Studen am Ziel sein.

Am Nachmittag erschien der Bergwacht-Chef und verkündete: "Übermorgen könnt ihr fliegen ! Es kostet 3000 Rubel."
Mit dieser Summe hatten wir dann doch nicht gerechnet - sie beinhaltete auch den Preis für den Rückflug des Hubschraubers nach Gorno-Altaisk. Wir mußten passen - diese Summe brachten wir beim besten Willen nicht auf.
Wir vereinbarten, uns abends nochmal im Büro der Bergwacht zu treffen, um die möglichen Varianten einer Weiterreise zu diskutieren. Es blieb eigentlich nur eine Weiterfahrt mit dem Bus - der tägliche Linienbus allerdings war bereits viele Tage im Voraus ausgebucht ...

Gegen 15:30 Uhr kam die Abordnung aus der Stadt zurück: es war weder möglich Geld zu tauschen noch Benzin aufzutreiben.
Was nun ?
Wir schickten Klaus, Christian und Stephen als Abordnung ins KCC-Büro. Wir anderen ließen uns derweil im Cafe Edelweiß einen Teller Nudelsuppe bringen.
Nach einiger Zeit kam Stephen ins Cafe gestürmt: Wir können mit einem Sonderbus mitfahren, Abfahrt ist in zwei Stunden !!

Wir eilten also zurück zu den Zelten und packten schnell zusammen. Eine Tasche und eine große Tüte war das Ergebnis der Gepäck-"Ausdünnung"; diese Teile konnten wir im KCC-Büro einlagern. Immerhin, jedes gesparte Kilogramm an unsreren etwa 40 kg schweren Rucksäcken bedeutete vielleicht ein etwas schnelleres Vorankommen.
In der Eile nahmen wir dann gar nicht erst den Umweg über die Brücke - Rucksack auf dem Rücken und Schuhe in der Hand wateten wir gleich durch die Mayma, um die Abfahrt nicht zu verpassen.

Einsteigen in den "Bus"

Zurück in der Stadt und am KCC-Büro inmitten der Neubauten, wurde uns erst allmählich klar, wie es jetzt weiterging: Der "Sonderbus" war ein Militär-LKW vom Typ KAMAS, der Aufbau völlig lehr und ohne Sitze, kleine Dachluken als einzige Fenster und luftdicht abschließbar. Die Belüftung erfolgte über die seit der eigenen Armeezeit bekannte "Atomanlage", einer motorgetriebenen Luftzufuhr über ein mehrstufiges Filtersystem, welches angeblich im Ernstfall den radioaktiven Staub abhält ...

Um 19:00 Uhr ging es los. Mit uns fuhr der Bergführer sowie zwei Geologen, die zu einer entfernten Station gebracht werden sollten. Mit dabei war eine Menge Gepäck der Geologen - Kisten und Säcke, die den Vorteil hatten, als Sitzgelegenheit nutzbar zu sein.

Zunächst auf asphaltierter Straße folgen wir dem Tschuja-Trakt, einer Verbindungsstraße von Biesk quer durch den Altai, die dem Lauf des Katun und später der Tschuja bis zur mongolischen Grenze folgt.
Nach etwa einer Stunde Fahrt die erste Pause: Eine Quelle mit "heiligem Wasser" am Straßenrand, geschmückt wie wir es bereits kannten, mit einer Vielzahl bunter Stoff-Streifen. Abgesehen von der willkommenen Erfrischung hielt es unser Führer für erforderlich, die Räder des Autos mit dem Wasser zu bespritzen, um Unheil abzuwenden. Nicht ganz unnütz - wie wir später noch feststellen werden.
Außerdem setzen wir durch, daß Almut von nun ab mit vorn beim Fahrer sitzen darf - auch bei allen anderen hatte bereits mehr oder weniger deutlich der Magen sein Mißfallen am Geschüttel bekundet.


Fahrt im KAMAS und Pause am Katun

Weiter geht die Fahrt bis kurz vor Sonnenuntergang.

Gegen 21:00 Uhr rumpeln wir plötzlich über eine Wiese: hier soll also unser Nachtquartier aufgeschlagen werden.
Nur etwa 100 Meter sind wir vom Tschuja-Trakt entfernt, auf dem noch immer ab und zu ein LKW vorbeidonnert.
Wenige Meter auf der anderen Seite befindet sich der Katun. In der letzten Abendsonne werfen wir einen Blick über diesen gewaltigen Fluß, zwar nicht viel breiter als die Elbe, aber die Wassermassen strömen derart, daß man sich sicher ist, bereits einen Meter entfernt vom Ufer im Wasser sich nicht mehr auf den Beinen halten zu können.

Halb im Dunkeln bauen wir die Zelte auf, mitten auf der Wiese zwischen Kühen und Pferden. Am Lagerfeuer sitzen wir noch eine ganze Zeit, genießen Tee mit einem Schluck Rum. Der Verkehr auf der Schotterpiste des Highways hatte sich gelegt, wir waren allein in der Natur des Altai, über uns die Sterne.


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