Im Akkemtal aufwärts

4. August

Wir stehen erst gegen 8:30 Uhr auf, obwohl wir uns eigentlich vorgenommen hatten, zeitiger aufzubrechen.
Um 10:15 Uhr setzen wir die Rucksäcke auf und gehen los. Wir sind nun bereits viele Tage unterwegs, aber jetzt müssen wir erstmals mit Gepäck zu Fuß vorwärts kommen. Zwei Russen, die ebenfalls in die Berge wollen, werden uns auf dem ersten Teilstück begleiten.

An der Brücke über die Kutscherla

Zunächst geht es nur sanft bergan. Beim Ort Kutscherla überqueren wir später auf einer Auslegerbrücke den gleichnamigen Fluß, dessen Tal wir bisher aufwärts verfolgten. Nun wird es steiler; wir verlassen das Flußtal und steigen aufwärts, um über die Bergkette ins Nachbartal zu gelangen.
Unser Tempo ist anfangs zu hoch; oft sind kleine Erholungspausen notwendig.
Einige Zeit später überschreiten wir den Kusujak-Paß und damit die Gebirgskette zwischen Kutscherla- und Akkem-Tal. Gegen 14:30 Uhr machen wir eine größere Pause; Almut und Christian haben bereits Probleme mit Blasen an den Füßen und auch mit der Kondition. Uns fehlt der Antrieb, ein richtiges Essen zu kochen, und so begnügen wir uns mit wenigen Fruchtschnitten-Riegeln.

Auf der Wiese
im Akkem-Tal

Es geht nun zwar wieder leicht bergab in das Akkemtal hinein, aber die Sonne brennt und langsam macht uns allen der ungewohnte Fußmarsch mit Gepäck immer mehr zu schaffen.
Plötzlich sind die schattenspendenden Bäume verschwunden und wir befinden uns auf einer riesengroßen Wiese oberhalb des Akkems.
Unsere russischen Begleiter verabschieden sich hier. Sie haben ein anderes Ziel und sind bald darauf quer zum Tal Richtung Fluß verschwunden.

Wir dagegen müssen talaufwärts. Unser Weg führt mitten durch die Wiese, auf einem schmalen Pfad durch hüfthohes Gras. Die Nachmittagssonne brennt unerträglich, die Hitze läßt die Luft über dem Boden flirren, kein Baum oder Strauch, der Schatten spendet. Also kämpfen wir uns durch; später wird klar, daß einige von uns an die Grenzen ihrer Leistung gegangen sind.
1. Zeltplatz im Akkem-Tal

Es ist gegen 18 Uhr, als wir wieder Bäume erreichen. Wir lassen erstmal die Rucksäcke fallen. Tatsächlich ist hier eine Stelle, die offenbar regelmäßig für die Übernachtung auf dem Weg Richtung Akkemsee genutzt wird. Wir sind alle völlig fertig und brauchen erstmal Ruhe.
Als die Sonne langsam sinkt, haben wir wieder soviel Kraft, die Zelte aufzubauen und die Kocher anzuwerfen. Es gibt Tee, Suppe und Salami.
Später treffen zwei Russen aus entgegengesetzter Richtung ein, um ebenfalls hier zu übernachten. Sie werden mangels Zelt unter einer gespannten Plasteplane übernachten. Trotzdem sehen ihre Rucksäcke aus wie mindestens 40 kg - und wir wissen ja, daß Produktionserfolge in der sowjetischen Wirtschaft immer in Kilogramm angegeben werden ... Aber wir bekommen von ihnen gezeigt, wo Huflattich und Johanniskraut wächst, um daraus einen erfrischenden Tee zu bereiten.
Ziemlich schnell kriechen wir dann allerdings erschöpft in die Schlafsäcke.

5. August

Um 7:30 Uhr stehen wir auf. Munter werden, Kochen, Essen und Packen dauert seine Zeit; erst gegen 9:45 brechen wir auf. Wir sind nun allein unterwegs und auf uns gestellt.
Die Orientierung sollte kein Problem werden, es geht nun immer weiter im Akkemtal bergauf bis zur Station des KCC am Akkemsee. Zum Glück haben wir das Schreiben aus Gorno-Altaisk in der Tasche, so daß wir uns keine Sorgen wegen irgendeines Kontakts mit Behörden machen.

Da wir lediglich eine äußerst grobe Karte des Gebietes besitzen, können wir nur vermuten, welche Strecke wir bereits zurückgelegt haben. Einige Zuflüsse des Akkem sind auch in unserer Karte verzeichnet, aber wir stellen bald fest, daß uns dies nichts nutzen wird - zu viele nicht vermerkte Seitentäler mit Bachläufen passieren wir, ohne daß in der Ferne die hohen Berge sichtbar werden.
Akkemtal und Belucha

Das Laufen strengt an, der gestrige Tag steckt allen noch in den Knochen. Almut hat sich die Füße wundgelaufen; deshalb nehmen wir ihr etwas Gepäck ab. Der Weg ist ein ausgetretener Pfad, der zumeist durch den Wald führt. Ich lenke mich ab, indem ich angestrengt rechts und links des Weges nach Pilzen Ausschau halte; einige wenige genießbare habe ich tatsächlich gefunden.

Ein- oder zweimal kommen uns russische Touristen bzw. Alpinisten entgegen. Wir fragen, wie weit es noch zum See ist. Die Antwort lautet jedesmal, wie auch schon am Vorabend an unserer Zeltstelle: Noch etwa ein Tagesmarsch !

Mittags machen wir eine längere Pause, damit sich Almuts Füße etwas erholen können. Am Nachmittag kommen wir langsamer voran, gehen zum Teil in unterschiedlichem Tempo. Christian senior bekommt Herzprobleme und muß vorsichtiger weitergehen.
Der Tag neigt sich dem Ende zu, als sich der Wald erstmals lichtet und den Blick talaufwärts freigibt. Wir sehen einen schneebedeckten Berg und haben keinen Zweifel, daß es sich um die Belucha handelt. Der Weg führt nun nicht mehr wie bisher hoch am Hang über dem Akkem entlang; erstmals sind wir direkt am Fluß und können uns mit dem kalten Wasser erfrischen.
Noch ein kleines Stück weiter marschieren wir, nun teilweise über Geröll. Bald wird uns klar, daß am heutigen Tag der Akkemsee nicht mehr erreichbar ist.
Wir finden ein kleines Plätzchen, welches halbwegs eben ist, um die Zelte aufzustellen. Christian geht es nicht besser; unser Doc beschließt, ein Herzmittel zu verabreichen und zieht eine Spritze auf. Wir anderen machen unsere Abendwäsche am Akkem und trauen uns mehr oder weniger ganz hinein in das brodelnde und fürchterlich kalte Wasser.


Rast am Akkem und medizinische Versorgung

Dann gibt es ausgiebig Abendbrot: 3mal müssen wir unseren größten Topf ansetzen, bis alle satt sind: Gulaschsuppe mit Nudeln, die gesammelten Pilze und Büchsenfleisch. Wir haben dazugelernt: Diesmal können wir uns den Huflattich für den Tee schon selber besorgen.

In der untergehenden Sonne fotografieren wir den schneebedeckten Belucha-Kamm und beobachten die Wolken, deren Form aus unserer bisherigen Erfahrung auf Wetterverschlechterung schließen läßt. Dies macht uns aber keine direkte Sorge; wir wähnen uns bereits dicht am Akkemsee.

6. August

Etwa zur selben Zeit wie gestern ist die Nacht zu Ende. Wiederum wird irgendein "Pamps" gekocht; dazu gibt es noch Wurstbemme - damit es etwas länger vorhält... Langsam aber gehen unsere Lebensmittelreserven zur Neige.
Heute zumindest sind wir etwas schneller fertig und marschieren weiter talaufwärts.
Es ist der dritte Tag, den wir zu Fuß mit Gepäck unterwegs sind und es läuft sich nicht mehr so beschwerdefrei wie anfangs. Entgegenkommende Bergwanderer reden immer noch von 6 Stunden bis zum Akkemsee. Aber wir bekommen auch eine Büchse voll nicht verbrauchtes Benzin geschenkt und nehmen es dankbar an - wer weiss, wie lange unsere Vorräte noch reichen.

Unsere Gruppe verteilt sich; Kondition und Gepäck sind zu unterschiedlich. Jörg trägt inzwischen einen Teil von Almuts Gepäck mit und verausgabt sich überdurchschnittlich. Wir verlieren uns und versuchen irgendwann, aufeinander zu warten - was aber schiefgeht, weil wir nicht genau wissen, wer vorn und wer hinten ist. Bevor wir unsere Kraft mit weiterer Suche verbrauchen, gehen wir weiter in dem Wissen, daß wir kurz vor unserem Ziel sein müssen.

Akkem-See und Belucha

Zusehends bedeckt sich der Himmel mit Wolken. Da sehen wir vor uns im Talkessel einen Hubschrauber aufsteigen, für uns ein sicheres Zeichen, daß wir es bald bis zum See geschafft haben.

Und dann ist es doch endlich soweit: Wir stehen direkt vor dem Akkem-See und neben uns sehen wir eine Geologen-Station und Zelte der Bergwacht "KCC".
Erneut hilft uns die Tatsache weiter, daß wir ein "offizielles" Schreiben besitzen - so werden wir problemlos empfangen und in die Zeltmöglichkeiten eingewiesen.
Zwischendurch hatte es angefangen, leicht zu regnen, aber kurz nachdem alle Zelte aufgebaut sind, ist das schon wieder vorbei.

Essen im Camp
überm Akkemsee

Ich fühle mich etwas angeschlagen und nehme Analgin. Wir kochen Hagebuttentee, Suppe und Reis. Danach holt irgendjemand eine Plaste-Trinkflasche mit einem halben Liter Schnaps aus seinem Rucksack ...
Wir beschließen, am nächsten Tag nichts zu unternehmen und einen Ruhetag einzulegen.

Später am Abend erscheint ein sichtlich betrunkener Bergwacht-Mann. Wir schicken eine Abordnung mit ihm mit - vielleicht läßt sich ja schon etwas in Erfahrung bringen über Routen am Berg und über Möglichkeiten eines Hubschrauber-Rücktransports.
Insgeheim schwebt die Belucha als Gipfel noch immer in unseren Köpfen herum, obwohl wir wissen, daß nur wenige Tage bis zum Rückmarsch verbleiben, das Wetter nicht gut aussieht und unsere Ausrüstung mit einigen Steigeisen und zwei Eispickeln mehr als dürftig ist. Aber wir hoffen auf Unterstützung aufgrund unseres Empfehlungsschreibens; außerdem hat unser Doc schon mal vorsorglich einige Medikamente verschenkt.
Ein Rückflug mit einem Hubschrauber bleibt unsicher; hier im Lager hat man keinen Einfluß auf Flugtermine und normalerweise auch keine langfristige Kenntnis davon. Scheinbar bleibt es oft dem Zufall überlassen, ob ein Hubschrauber hier mal vorbeikommt, etwas Verpflegung und Schnaps abwirft und in unbekannte Richtung weiterfliegt ...





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